Annäherung der Farbe | Thomas Janzen | „Haus und Garten”, 2004 | Katalog
„Um die Farbe mit Erfolg zu gebrauchen, muss man berücksichtigen, dass die Farbe fortwährend täuscht.“ Josef Albers
Wohl kaum ein Maler hat die Relativität der Farbwahrnehmung eindrücklicher und systematischer vor Augen geführt, als der gebürtige Bottroper Josef Albers. Seine berühmte, über 20 Jahre hinweg entstandene Gemäldeserie der „Homages to the Square“ legt davon künstlerisches Zeugnis ab. Seine nicht weniger berühmte späte Schrift über die Wechselwirkungen der Farbe wird man mit den Worten Wieland Schmieds am ehesten als eine Art „Relativitätstheorie der Farbe“¹ begreifen können. „Praktische Erfahrungen weisen“, so Albers, „auf die Relativität und Instabilität der Farbe. Die Erfahrung lehrt auch, dass in der visuellen Wahrnehmung eine Diskrepanz zwischen physikalischem Faktum und psychischer Wirkung besteht“². Da demzufolge mit dem Faktum der Farbe wenig benannt ist, muss sich die Beschreibung von Farbe zwangsläufig auf das Sehen, auf das jeweils aktuelle Erscheinen, auf eben das, was Albers den „acutal fact“ der Farbe nannte konzentrieren.
Malen, um Farbe zu sehen, so einfach und direkt möchte man auch den Ansatz des in Köln lebenden Malers Raymund Kaiser betiteln. Jene visuelle Aktualität der Farbe – der Albers’ Huldigungen eigentlich gelten und die den übergänglichen, ja visionären Charakter der Farbe ausmacht –, ist in den Werken Raymund Kaisers bereits im Bildaufbau konzeptuell verankert. So entstehen Kaisers Gemälde der letzten Jahre ausnahmslos in zwei separaten Malprozessen: Eine in vielen Schichten entwickelte, spiegelglatte Farblasur definiert gewissermaßen den Grund- oder Ausgangston des Bildes. In einem zweiten Schritt wird auf diese spiegelnde Farbfläche wiederum Farbe aufgetragen und mit dem Rakel verteilt, nun aber als gleichsam rohe Masse. Wesentlich dabei ist, dass Kaiser den Farbton dieser Masse anschaulich (also im actual fact) jenem der Lasur soweit als möglich annähert. Um dem Ziel einer Farbäquivalenz über die verschiedenen, geradezu konträren Konsistenzen der Farbe hinweg so nahe wie möglich zu kommen, ist der Maler auf eine nur aus der Anschauung zu gewinnende neue Mischung des Farbtons angewiesen. Natürlich arbeitet er dabei im vollsten Bewusstsein der Tatsache, dass die farbliche Identität dieser Schichten unmöglich erreicht werden kann. Nun ist es aber gerade diese bleibende Divergenz – ein stofflicher Widerstand –, an der die Annäherung der Farberscheinung sichtbar wird.
Für sein Riesengemälde im Garten des Büros für Stadtplanung und Stadtentwicklung in Krefeld-Hüls hat Kaiser einen Farbton gewählt, der (wie oben gesehen) nur unvollkommen als dunkelviolett bezeichnet werden kann. Die Relativität der Farbe, die bereits in seinen Tafelbildern durch die Spieglungen der Farblasuren effektvoll zum Extrem getrieben scheint, erfährt hier noch eine Steigerung. So wurden die meterlangen Glaswände eines Pavillions, der einst ein kleines Schwimmbad überdachte, auf der Innenseite gleichmäßig deckend bestrichen. Außen, und nur von dort ist die Arbeit zu betrachten, spiegelt sich die Umgebung des Gartens im dunklen Grund. Das Aussehen der Farbe wird im höchsten Maße durch die Bewegungen und Formen ebenso wie durch die Licht- und Farbphänomene der Spiegelungen bestimmt. Man möchte fast sagen, dass die Farbe nurmehr durch diese direkte Umwelt hindurch zur Erscheinung kommt, oder, dass letztere im Bild ihrerseits in die Farbe der Malerei einsinkt. Die pastosen Schichten dagegen liegen außen auf den Glasscheiben. Ihr Ton ist physikalisch gesehen dunkler als derjenige der dahinter liegenden Farbschicht. In der Anschauung findet dieses Wissen jedoch keine Bestätigung. Trifft das Licht direkt auf diese äußeren Farbschichten, kehrt sich der Eindruck konträr zum physikalischen Faktum (factual fact) sogar ins Gegenteil um.
Kaisers Projekt, mit verschiedenen Tonstufen einer Farbe, auf eine anschauliche Monochromie der Farbe zu zumalen, nimmt mit dem Hülser Riesenbild eine enorme Herausforderung an. Macht es schon die bloße Ausdehnung des Werks unmöglich, die Farbe in einem Blick zu erfassen, so kommt hinzu, dass es sich von der Süd- zur Ostseite des kleinen Gebäudes erstreckt und damit Lichtsituationen durchmisst, in denen die Farbeindrücke stark variieren. Einmal aufmerksam geworden auf diese Differenzen, zeigen sie sich in nahezu jeder Hinsicht. Die monochrome Malerei steht hier nicht abseits der Lebenswirklichkeit, sie besetzt keinen White Cube, der ihr d.h. einer reinen Farbanschauung maßgeschneidert wäre; vielmehr bleibt sie den Wechselverhältnissen von Raum und Zeit ausgesetzt, wenn nicht sogar ausgeliefert. Gerade die spiegelnden Farbflächen, und dies gilt auch für Kaisers Tafelbilder, sind Medien für das Beiläufige und Zufällige. Die pastosen Farbschichten bringen die Unabgeschlossenheit des Ganzen ihrerseits malerisch zum Ausdruck. Wie versprengte Inselgruppen schwimmen sie im unabsehbaren Grund der Farbe; sind gleichsam Landstücke, die allein den Blick auf das greifbare Farbmaterial zurück lenken. So wird durch das Gemaltsein der Farbe – durch das, was die Amerikaner paint nennen – auch die Glaswand als dinglicher Untergrund der Malerei und somit als konkrete Bildbedingung wieder sichtbar. Gleichzeitig sind es aber gerade diese mitunter bizarren Formen, die dem Bild ein assoziatives Potenzial einschreiben und dabei die imaginative oder gar illusionistische Wirkung der Farbe noch steigern. Als Fond dieser versprengten oder sogar zerrissen anmutenden Formen, gewinnt der rückwärtige Farbanstrich eine raumhafte, ja eine raumumgreifende Dimension. Auch die disparaten Momente der Farbe erscheinen dann in einem Farbraum aufgehoben.
1 Fünfzehn Sätze über Josef Albers, in: Josef Albers, Galerie Carsten Greve, Köln 1989, S. 5.
2 Interaction of Color, New Haven, Connecticut 1963, unten folgende Zitate stammen aus diesem Text, in: Albers, Landesmuseum Münster 1968.