#reflect | Gespräch zwischen Petra Oelschlägel, Raymund Kaiser und Rainer Splitt | Kunstverein MMIII Mönchengladbach 2013 | Katalog
Die Ausstellung #reflect präsentiert zwei Künstler, die sich auf höchst unterschiedliche Weise mit Farbe, ihrer Substanz und insbesondere ihrer räumlichen Wirkung auseinandersetzen. Dabei beziehen sie sich über den gewählten Ausstellungstitel bereits auf die grundlegende Eigenschaft von Farbe als reflektiertes Licht.
Während der ebenerdige Ausstellungsbereich des Mönchengladbacher Kunstvereins durch einen monumentalen Farbguss Rainer Splitts am Boden dominiert wird, befindet sich auf der Empore eine aus sechzig verspiegelten Tafeln zusammengesetzte Wandarbeit von Raymund Kaiser. Mit einem silbernen Lackmarker hat er die einzelnen Tafeln dieser ca. 3 x 14 m großen Fläche auf unterschiedliche Weise mit Schraffuren bedeckt und derart angeordnet, dass sich mehr oder weniger zusammenhängende Formen ergeben. Den Ausstellungsraum spiegelnde leere Flächen wechseln sich mit den „zugemalten“ ab und bilden ein spannungsvolles Verhältnis von Einbeziehung und Ausschluss des Umraumes und des Betrachters. Fast immateriell schwebt die Schraffur, eine beinahe farblose Farbe vor der Spiegelfläche, die gleichzeitig an Inseln und Kontinente im Nichts erinnert.
Rainer Splitts raumgreifender Farbguss aus zäh fließender, grauer Polyurethanfarbe ist nicht Malerei, obwohl es um Farbe im eigentlichen Sinne geht, und ist auch nicht Skulptur. Er hinterfragt die Grenzen beider Genres und verunsichert den Betrachter mit seiner malerisch-plastischen Setzung auf nachhaltige Weise.
Petra Oelschlägel: In Euren unterschiedlichen künstlerischen Positionen geht es um Farbe und ihre räumliche Wirkung. Dabei beschreitet Ihr höchst unterschiedliche Wege. Wie schätzt Ihr die Beziehung zwischen Planung und Zufall ein? Wie wichtig ist der Raum mit seinen Leerstellen, ich meine, dem ungenutzten Raum?
Raymund Kaiser: Eigentlich ist es ein geplanter Zufall. Die spontan entstehenden Flächen nutze ich um der Arbeit eine größtmögliche Offenheit zu geben. Ich beginne, nachdem der Malgrund oder Spiegelgrund angelegt ist, mit dem Verteilen der Farbe mittels einer Rakelschiene oder auf den Spiegelfolien mit dem Lackmarker. Ab diesem Moment ist es von meinem spontanen Sehen abhängig, wie ich die Farbmasse verteile oder mit dem Lackmarker eine Fläche schraffiere. Während es sich bei meiner Malerei mit lasierten Lackschichten um ein einzelnes Bildrechteck handelt, sind es bei meiner Spiegelinstallation im MMIII, 60 hochformatige Tafeln, die auf ein Format von 291 x 1360 cm kommen. So treffe ich bei einer solitären Malerei andere Entscheidungen als bei der Spiegelinstallation, bei der sich das Bild erst als Zusammenschau aller Teile ergibt.
Bei der Installation #reflect habe ich die Möglichkeit, die einzelnen Teile immer wieder anders zu kombinieren genutzt, und so nach und nach die schlußendliche Form gefunden. Ich sehe den Spiegel als einen unendlichen Raum. Die Flächenfragmente machen die Grenze zum konkreten Raum sichtbar und die unbestimmbare Tiefe der Spiegelung bewusst. Sie werden zu Orientierungsflächen im Spiegelraum. Insofern ist es wichtig, dass sie den Spiegelraum nicht großflächig verdecken, sondern ihn bewusst machen, und das somit imaginäre Potenzial für den Betrachter öffnen.
Rainer Splitt: Raum. Ob man etwas als Ding, Raum oder Oberfläche wahrnimmt, ist ja vor allem eine Frage an den Betrachter, seinen Blick und seinen Blickwinkel. Natürlich hat jedes Ding und jeder Raum sein „Bild“; jede Farbe formuliert ein Bild auch von sich selbst und nicht nur von dem Raum. Die „Negativform“ ist ebenfalls Farbe, Bild und Raum. Kann irgendetwas die „nicht-gemeinte Form“ sein?
Die „Leerstelle“, das ist üblicherweise der Raum, den der Betrachter zunächst einnimmt; da liegt die Farbe vor den Füßen und die Wand als Raum für das Bild bleibt leer. Die erstarrte farbige Masse ist schon gemeint, aber nicht nur – in ihr spiegelt sich unter bestimmten Blickwinkeln die Realität (der Umgebung); sie nimmt aber auch Raum fort (der Boden ist verdeckt). Interessant finde ich die Rolle des Betrachters: erst einmal muss er die statische Position verlassen, weil sich mit einem Blick gar nicht alles aufnehmen läßt, dann entdeckt er verschiedene Blickwinkel und verschiedene Bilder; schließlich – so hoffe ich – entdeckt er sich selbst als sich bewegender Körper im Raum, gewissermassen in Analogie zur farbigen Masse, die irgendwann in der Bewegung innehält. Der Betrachter, sich selbst und seinen Blick beobachtend, ist das Thema hinter dem Material, hinter der Farbe, hinter dem Spiegel.
Petra Oelschlägel: Mit den gewählten Farbtönen steht Ihr recht nahe beieinander. Warum Silber- und Grautöne? Warum keine knalligen Farben wie in anderen Farbgüssen oder einzelnen Arbeiten?
Raymund Kaiser: Für mich hat sich bei meiner Spiegelinstallation die Frage nach der Farbe nicht gestellt. Ich wollte diese Arbeit als ein malerisches Skelett. Von jeder Eigenfarbe befreit, reflektiert sie die Farbatmosphäre des Umraumes. Es ist wie Malen ohne Farbe. So ist auch die schwarze Lackarbeit im unteren Bereich nur konsequent. Die Oberfläche reflektiert in der Hauptsache nur die Farbmomente aus der Umgebung.
Rainer Splitt: Die Auswahl eines Kolorits geschieht meist emotional; ganz unreflektiert jedoch nicht. Bei jeder Ausstellung gibt es eine neue Neugier, etwas was man herausbekommen möchte… hier habe ich angesichts der zur Verfügung stehenden Fläche einen Ton gesucht, der die Grenze zwischen Farbe und Nicht-Farbe berührt. „Da sein“ und „weg sein“ gleichermaßen; dieses Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren (in den Gussboxen sieht man das ja explizit). Das Kolorit ist nur schwach-farbig, der eingenommene Raum dafür recht groß.
Petra Oelschlägel: Rainer, Deine Farbgüsse sind wie Skulptur ohne Sockel bzw. Malerei ohne Grund. Deine Farbgüsse verschmilzen mit dem Raum und stehen jenseits traditioneller Gattungsbegriffe. Wo würdest Du Dich selber am ehesten einordnen?
Rainer Splitt: Der Platz zwischen den Stühlen ist an sich ein guter! Von Peter Weibel gab es mal die eingeführte Kategorie „spatialer Malerei“ – die ich eine Weile, trotz des sperrigen Begriffs, ganz sympathisch fand. Die Farbgüsse werden von den Theoretikern oft im Malereizusammenhang diskutiert; anders als bei den meisten Malern gehe ich aber nicht von einer Vorstellung aus, für deren Realisierung dann die geeigneten Mittel herangezogen werden; eher umgekehrt: wichtig ist mir etwas elementares, notwendiges bzw. plastisch richtiges zu tun bei dem das „Bild“ das manchmal überraschende Ergebnis bildet, nicht umgekehrt. Der Austausch der Leinwand gegen den Fußboden, so könnte man sagen, macht das Bild weniger abstrakt, bringt es der Realität und dem Betrachter näher. Oder anders herum: der Betrachter wird mit zum Bild (egal, ob er nun die Farbfläche betritt, oder sich in der Negativform in sicherer Distanz fühlt).
Gattungsnähe sehe ich insgesamt eher zur Konzeptkunst – als Bildforschung mit Farbe. Das „Bild“, gleichzeitig der inneren Logik von Handlung und Material verpflichtet wie auch abhängig vom „Blick“: der Betrachter als aktiver Teil des Bildes betrachtet sich, seine Bewegung und sein Schauen eben auch – und natürlich das Verhalten der anderen und die eigene Verantwortung für deren Blick.
Petra Oelschlägel: Raymund, in Deinen Werken fühlt man sich immer wieder an Landkarten erinnert, an Kontinente und das Abstecken zwischen Wasser und Land. Dabei beziehst Du die Spannungspole von Materialität und Taktilität, von lasierend und opak, von Öffnung und Vergitterung bzw. Abschottung ein. Welche Bedeutung hat für Dich die Entscheidung für einen tatsächlich spiegelnden Malgrund? Wie unterscheidet sich die Arbeit für Mönchengladbach diesbezüglich von früheren Werken, in denen das Moment des Spiegels ebenfalls bereits vorkam?
Raymund Kaiser: Die Entscheidung für den spiegelnden Malgrund hat sich langsam durch stetiges Beobachten herausgebildet. Die Wirkung wurde für mich zunehmend interessanter, da die Spiegelung zum bildgebenden Element wird, das je nach Position des Betrachters, von eingespiegelten Elementen des Raumes mitbestimmt wird.
Das für mich interessante ist die Aufhebung des statischen Bildes zu einem scheinbar bewegten Bild. Der spiegelnde Bildgrund ist wie eine leere Leinwand, die zur Projektionsfläche wird. Damit erweitert sich das Bild über seinen Rahmen hinaus.
Im Gegensatz zu früheren Malereien beziehen die Aktuellen den konkreten Raum, wie auch den Betrachter, noch stärker ein. Ich beobachte, dass sich Malerei immer mit dem illusionistischen Raum beschäftigt und der immer Bestandteil einer Malerei ist. Die Einbeziehung der Spiegelung in meine Malerei kommt meiner Auseinandersetzung mit dem scheinbar Gleichen und doch vielfältig Anderen entgegen.
Petra Oelschlägel: Raymund und Rainer: Was interessiert Euch aneinander? Wo seht ihr Berührungspunkte in Eurer Arbeit und wo die größten Unterschiede?
Raymund Kaiser: Bei Rainer Splitt hat mich immer fasziniert, wie er mit einfachen Mitteln die Farbe als Nuance und Substanz sichtbar macht. In seinen Arbeiten ist die Herstellungsweise in der Form immer nachvollziehbar. Es ist auch für mich überraschend, wie in manchen Formergebnissen eine Verwandtschaft zu bestehen scheint. Aber während ich immer im Bild arbeite, agiert Rainer im konkreten Raum, der vom Betrachter zu begehen ist, während er meine Spiegelinstallation nur imaginär betreten kann.
Rainer Splitt: Beide Positionen beschäftigen sich mit der Gleichzeitigkeit von Präsenz und Abwesenheit. Meines Erachtens fokussiert Raymund dabei stärker auf das im Bild selbst liegende; manche Bildteile sind sehr präsent, scharf konturiert und oben aufliegend – andere Bildteile sind schwer zu fassen, verschwinden im Sog des Bildraums. Während Raymund dies durch subtilste malerische Differenzierung erreicht, interessiert mich mehr das Faktische der Farbe an sich. Farbe, die im allgemeinen die Haut der uns umgebenden Dinge bildet, formuliert unser Bild von der Welt. Wieviel Substanz hat die Oberfläche und kann man ohne ein darunter auskommen? Geht Farbe ja – Bild nein? Oder gibt es ein Bild ohne Blick? Solche Fragen sehe ich eher im Fokus meiner Arbeit.
Petra Oelschlägel: Ihr beschäftigt Euch beide mit der Figur-Grund-Thematik. Dabei konnte Raymund vor Ort durch das Anordnen der Einzelelemente die Bildaussage stark beeinflussen. Bei Rainer hatten die Umgebungsbedingungen (Temperatur, Gefälle, Abbindegeschwindigkeit) der Korrektur vor Ort enge Grenzen gesetzt. In wieweit ist Spontaneität für Euer Werk von Bedeutung?
Rainer Splitt: Feuchtigkeit und Temperatur hatten tatsächlich einen überraschend großen Einfluss auf das Erscheinungsbild, insbesondere an den Rändern.
Raymund Kaiser: Für meine Arbeit brauche ich immer einen Rahmen, in dem dann Spontaneität und Zufälligkeit passieren kann. Der konzeptuelle Rahmen für meine Installation im MMIII war definiert, aber die Platzierung der Spiegelfläche, auch die freigelassene weiße Wandfläche habe ich erst angesichts des Raumes entschieden. Bei einer Vorinstallation im Atelier hatte ich schon einige Spiegelelemente mit dem silbernen Lackmarker bearbeitet, die mir vor Ort als Einstieg in die Realisierung dienten.
Doch erst beim Arbeiten in situ konnte ich dann die Installation in der vollen Größe sehen und entsprechend reagieren. So habe ich immer wieder Teile der Arbeit neu geordnet, also die sich verbindenden Flächenfragmente geändert. Ich musste mich auf die Bedingungen und meine Wahrnehmung des Raumes im MMIII einlassen und bin so zu dem installierten Ergebnis gekommen.
Petra Oelschlägel: Eure beiden Positionen fordern die Wahrnehmung des Betrachters auf besondere Weise. Die Inbesitznahme des Kunstwerkes kann nur durch Abschreiten, Erwegen und Betrachtung aus unterschiedlichen Positionen erfolgen. Wie sieht für Euch ein „idealer Betrachter“ aus?
Raymund Kaiser: Mit meiner Arbeit fokussiere ich den Betrachter auf bestimmte Momente und Ereignisse in meiner Malerei. Ich bereite ihm ein Feld, in dem er seine spezielle Bildwahrnehmung erfahren kann. Ein Betrachter wird immer seinen persönlichen Blick auf die Arbeit haben.
Petra Oelschlägel: Wo seht Ihr die Grenzen für Eure Kunst in der Abbildung? Ist das reale Erleben essentiell, um Eure Position tatsächlich zu sehen und zu verstehen?
Rainer Splitt: Anwesenheit ist als Erfahrungskategorie schwer abbildbar; der Abbildung fehlt natürlich das Sensuelle des Materials, die Unmittelbarkeit und der Zeit-Raum-Kontext im Realraum. Dennoch, der Blick auf die Abbildung hat auch Vorteile: Er setzt weniger das Material in Beziehung zum Raum als vielmehr das Bild in Beziehung zur Disposition des eigenen Schauens. „Inbesitznahme“ braucht sicher vor allem diesen Blick in den doppelten Spiegel.
Raymund Kaiser: Im Gegensatz zur Abbildung gestattet das Original keinen distanzierten Betrachter. Er befindet sich mit dem „Spiegelbild“ in einem Raum und und kann sich der Absorption durch den Bildgrund nicht entziehen. Er hat viele Möglichkeiten in das „Bild“ einzusteigen und es regelrecht zu durchlaufen und dabei immer neue Aspekte in der Bild-Struktur zu entdecken. In dieser Spiegel-Realität findet er in dem reflektierten Umraum auch sein verschwommenes Selbst-Bild wieder.
#reflect als Ausstellungstitel verdeutlicht, welche Bedeutung für beide Künstler die Spiegelung und somit permanente Einbeziehung des Raumes und des betrachtenden Subjekts hat. Er verweist ebenfalls auf die HTML-Schreibweise für Farbwerte als Ziffern und Buchstabencode. Der Farbwert #reflect würde im HTML-Code jedoch keine Wirkung entfalten, da dieser nur im Analogen, d.h. zwischen Betrachter und Objekt wahrnehmbar ist. Genau dieses Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, zumeist unbewusst gleichzeitig wahrgenommen und „passierend“, steht im Mittelpunkt der Ausstellung.
Die Werke bieten Grundlage und Spiegelfläche von Wahrnehmung und rufen zur permanenten Standortveränderung und Überprüfung des Gesehenen auf. Die vom jeweiligen „Bild-still“, also der einzelnen Sicht auf das Werk, ausgehende kurzzeitige Erfassung und das Verständnis des Kunstwerks weichen immer wieder dem verunsichernden Erlebnis, dass es von anderer Stelle doch ganz anders erscheint – inklusive einer sich stets verändernden Spiegelung von Raum und eigener Person.
Vielschichtiger, tiefgründiger, nie vollkommen zu erfassen könnte ein Kunstwerk kaum sein – näher an Fragen nach dem eigenen Sein könnte es wohl auch schwer rühren.
Petra Oelschlägel