Kunstforum International BAND 223, 2013, AUSSTELLUNGEN: S. 319 | Sabine Elsa Müller
#reflect Raymund Kaiser und Rainer Splitt, MMIII Kunstverein Mönchengladbach, 25.5. – 8.9.2013
Wenn sich zwei Künstler zu einer Doppelausstellung zusammentun, ist das immer eine heikle Sache. Die beiden Positionen sollen sich nicht gegenseitig die Schau stehlen, aber es wirkt auch enttäuschend, wenn sie kaum etwas miteinander zu tun haben. Damit aus dem Doppel etwas Drittes, Neues entsteht, braucht es schon ebenbürtige Charaktere, die darin eine besondere Herausforderung erkennen.
Raymund Kaiser (geb. 1955) und Rainer Splitt (geb. 1963) haben sich dieser Herausforderung gestellt. Sie arbeiten nicht nur mit ähnlichen Stilmitteln, in der Mönchengladbacher Ausstellung entschieden sie sich auch farblich für eine Angleichung: Ihre Farbskala konzentriert sich auf einen mittleren Graubereich. Damit passen sie sich der neutralen Farbgebung der zur Ausstellungshalle umfunktionierten Industriearchitektur an, anstatt ihr etwas entgegenzusetzen. Der erste Eindruck ist gelinde gesagt verblüffend, ob der augenfälligen chromatischen Askese. Es wird aber schnell deutlich, zu wessen Gunsten diese zurückgenommene Eigenpräsenz in Kauf genommen wird: Ihre jeweiligen Hauptwerke stehen ganz im Dienste einer außerhalb ihrer selbst liegenden Realität. Sie stellen sich nicht selbst aus, sondern den sie umgebenden Raum mitsamt den darin anwesenden Besuchern. In ihren hochglänzenden und spiegelnden Oberflächen begegnen wir uns selbst als selbstverständlicher Bestandteil der Ausstellungssituation.
Die untere Ausstellungsebene wird von einem der typischen Farbgüsse Rainer Splitts beherrscht. Hochglänzendes, selbsthärtendes Polyurethan, mit grauem Pigment eingefärbt, wurde sehr behutsam an der Wand entlang ausgegossen, so dass sich eine exakte Linie bildet. Die Farbe scheint sich von dieser geraden Linie aus wie unter der Wand hindurch regelrecht in den Raum hineinzufressen. Sie bedeckt einen großen Teil des Bodens, betont aber auch die begrenzende Wand, zu der sie gleichzeitig eine unüberwindliche Distanz schafft. Der Blick wird zur leeren Wand geleitet, bis er schließlich ganz unten am Boden fündig wird, in dem sich genau diese Wand spiegelt. Die Wand stellt nichts aus, sie wird ausgestellt. Gleichwohl verändert sich das Bild je nach der Position des Besuchers und je nach Tageszeit und Lichteinfall. Einmal spiegeln sich der Raum und die Oberlichter, dann wieder der Betrachter selbst, oder die Fläche liegt im Schatten, dunkel und unergründlich. Durch die farbliche Anpassung an das Grau des Estrichs liegt die Assoziation einer Wasser- oder Öllache nahe – dagegen spricht aber wiederum der seltsam zerklüftet auslappende Rand. Allein dieses Detail lässt bei der Betrachtung auf eine zähe, langsam fließende Masse schließen. In der Erstarrung hat sich die Langsamkeit des Fließens unmittelbar eingeprägt, so dass man nicht ganz sicher sein kann, ob sich diese Farbzungen nicht doch unmerklich und unaufhaltsam weiter vorschieben werden.
Die Antwort auf diese im wahrsten Sinne unterschwellig wirksame Bodenarbeit findet sich eine Etage höher. Auf der Empore bedeckt Raymund Kaisers Arbeit #reflect – die der gesamten Ausstellung den Titel leiht – mit den Maßen 291 x 1360 cm fast die gesamte Wandfläche. Man glaubt sich im ersten Moment einer Spiegelwand gegenüber, bis sich zeigt, dass die Oberflächen nur ein verschwommenes, unklares Bild zurückwerfen. Kaiser verwendet normierte Spiegelkartons aus dem Baumarkt, die er zur Fläche zusammensetzt, nachdem er einige der insgesamt 60 Platten mit silberfarbenem Lackmarker malerisch behandelt hat. Das trashige Material verströmt in Verbindung mit den bewegt und ungleichmäßig sich darauf ausbreitenden Malschichten einen ganz eigenen Charme zwischen billiger Massenware und erhabenem Silberglanz. Die Einbeziehung des Außenraums erweist sich als so großflächig wie eingeschränkt. Nahsicht und ein Sich-Verlieren im illusionistischen Tiefenraum wechseln beim Abschreiten der Wand, beim sich ihr Nähern wie auch sich von ihr Entfernen. Entgegenkommende Öffnung und Abgrenzung gehören hier untrennbar zusammen.
Kaiser übersetzt in dieser Installation die Fragestellungen seiner Tafelbilder, in denen er mit Öl und Lack auf MDF arbeitet, in den Raum. Die „zugemalten“ Inseln aus Lackmarker heben sich von dem gespiegelten Tiefenraum deutlich ab, verbinden sich aber gleichzeitig mit dessen Farbatmosphäre zu einem reizvollen Wechselspiel nah beieinander liegender Farbnuancen. Durch die Empfindlichkeit der Spiegelfelder gegenüber Veränderungen im Raum können sich aber ebenso unvermutete starke Kontraste in Farbigkeit und Lichtintensität ergeben, die aus dem Ähnlichen etwas völlig Verschiedenes und aus dem statischen Bild eine sich ständig verändernde, ungreifbare Illusion machen. Das Bild präsentiert sich selbst als illusionistische Reflexion des Betrachters.
Der maßgebliche Anteil des Betrachters kommt in dieser Ausstellung so deutlich wie selten zu Bewusstsein, dadurch, dass er einerseits in eine Distanz zum Werk gesetzt wird und sich andererseits aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder selbst als Teil des Werkes wahrnimmt. Neben diesem interaktiven Aspekt stellt die Auflösung der Grenzen zwischen Malerei und Skulptur eine weitere Herausforderung für den Betrachterstandpunkt dar. Nicht nur die beiden großen Installationen, auch ergänzende Arbeiten wie die Gussboxen und die Paperpools Rainer Splitts meistern diesen Balanceakt zwischen, oder besser gesagt, außerhalb der Gattungen mit Bravour. Bei den Paperpools gießt Splitt Farbe in zu einer Schachtel gefaltetes Papier, gießt die Farbe wieder aus und entfaltet es wieder, so dass prozessuale plastische und malerische Spuren zurückbleiben. Splitt lenkt den Blick auf die Farbe als Handlung und die Unterscheidungskriterien zwischen der Eigenfarbigkeit des Papiers und der des Farbgusses.
Seit nunmehr zehn Jahren verfolgt der Mönchengladbacher Kunstverein MMIII sehr konsequent ein Programm, das sich der Öffnung der Kunst in den Raum und damit in die Sphäre des Betrachters verschrieben hat. In dieser weiteren hochspannenden Ausstellung wird wieder einmal deutlich, wie sehr sich eine fundierte und kontinuierliche kuratorische Betreuung im Ergebnis bezahlt machen.