Farbe | Karin Stempel | Installation in der evangelisch-reformierten Kirche in Radevormwald, 1998 | Traduction par Klaus Effertz | Katalog
Die unterschiedlichen Lehrmeinungen über die Vereinbarkeit des Bilderkultes mit dem zweiten Gebot „Du sollst Dir kein Bild noch irgendein Gleichnis machen…“, die zur Zeit der Reformation zu so heftigen Auseinandersetzungen wie dem Bildersturm geführt haben, prägen bis heute noch nachhaltig die Anlage und Ausstattung der Gotteshäuser der unterschiedlichen christlichen Religionsgemeinschaften. Während in katholischen Kirchen die Verehrung eines Bildes oder einer Skulptur unter Hinweis auf die Menschwerdung Gottes in seiner Mittlerfunktion nach wie vor vollzogen wird, die evangelisch-lutherischen Kirchen dazu – in Anlehnung an Luthers widersprüchliche Aussagen – eine ambivalente Stellung einnehmen, tendieren die evangelisch-reformierten Glaubensrichtungen zu der strikten Ablehnung der Bilderverehrung, wie sie am radikalsten von den Calvinisten mit ihrer Überzeugung, die einzige Form der göttlichen Form sei das Wort, vertreten wird. Verfolgt man die zeitgenössischen Debatten, wird deutlich, daß sich hinter allen Auffassungen eine ganz bestimmte Vorstellung davon verbirgt, wie der Zusammenhang zwischen Geist und Materie beschaffen ist, und auf welche Art sich der Übergang bzw. die Verwandlung des einen in das andere vollzieht – eine Fragestellung, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat und in den unterschiedlichsten Lebensbereichen nach wie vor virulent ist.
Raymund Kaiser entspricht mit seiner raumbezogenen Malerei, die er in der evangelisch-reformierten Kirche in Radevormwald realisiert hat, bewußt oder unbewußt dem Bilderverbot, das sich auch in der Ausstattung dieser Kirche niederschlägt, obwohl seine Arbeit zweifelsohne Malerei in einer ihrer reinsten Form ist. Malerei, das ist für Raymund Kaiser die Reflexion über Farbe und die verschiedenartigen Formen ihrer Präsenz, die er seit Jahren in seinem Werk akribisch untersucht. Bild, das ist zunächst einmal eine Farbfläche, die sich aus unterschiedlichen Schichten, Untermalungen und Lasuren aufbaut, und stets in sich die beiden Seinsformen von Farbe in sich beinhaltet. Farbe ist Körper und Haut, eine deckende Substanz, die alles in sich aufgenommen zu haben scheint und absorbiert, stumpf und in sich ruhend. Hermetisch in sich verschlossene Farbflächen wirken wie in sich versiegelt, gesättigt und wie raumlos – ganz bei sich. Demgegenüber stehen in den meist in zwei Farbfelder unterteilten Arbeiten Flächen, in denen die Farbe wie freigesetzt ist und sich im Raum zu verstrahlen scheint – ungebunden und wie schwerelos, glänzendes farbiges Licht, das nicht genau zu orten ist.
Diaphane und opake Farbflächen sind auch die bestimmenden Elemente der neuesten Arbeit, in der Raymund Kaiser mit äußerster Sensibilität auf den Lichteinfall und die Lichtführung der Architektur reagiert, der er seine Malerei einbeschrieben hat. In seiner Farbwahl greift er die lichtdurchflutete Leichtigkeit des von hohen Fenstern durchlichteten Raumes auf und steigert ihre raumprägende Wirkung. Das verhaltene Gelb, das sich auf den schräg abfallenden Flächen der Fensterstürze wie ein leuchtendes Lichtband um den Raum legt, scheint das einfallende Sonnenlicht in sich aufgenommen zu haben und zu reflektieren. Je nach Lichteinfall und Tageszeit verwandelt es sich durch die Brechung der Farbfläche in ein immaterielles Strahlen oder scheint wie fast schon erloschen in sich nachzuglühen.
Die dialektische Struktur der Farbe, ihre allseitige Öffnung und Entbindung als Licht einerseits und ihre in sich verschlossene, deckende Verkapselung als Haut andererseits wird aufs Sinnfälligste von Raymund Kaiser in der Eingangssituation des Kirchenraumes thematisiert. Die großflächige Glastür benutzt der Künstler als Bildträger, der auf der einen, der äußeren Seite als Bilduntergrund fungiert, auf den die Farbe aufgetragen wird – opak und in sich ruhend wie eine geschlossene Tür – um auf der anderen, inneren Seite wie die Verglasung eines Bildes zu wirken, die die Farbfläche zu schützen scheint, die wie bei der Hinterglasmalerei auf ihrer Rückseite liegt und durch sie hindurch gesehen wird. Obwohl die Farbfläche damit eigentlich vom Raum abgeschlossen ist, öffnet das Glas, wie ein Medium die Fläche in den Raum hinein, der sich im Licht des Farbfeldes reflektiert.
Malerei, die wie hier auf dem intelligent und äußerst feinfühlig inszenierten Wechselspiel zwischen diaphanen und opaken Farbflächen beruht, ist nichts anderes als eine Reflexion über das Wesen von Malerei, die sich ganz materiell und objekthaft vergegenständlicht und gleichzeitig auch nichts anderes ist, als ein immaterielles Leuchten und Strahlen, in dem Materie, wie von ihrer Bindung freigesetzt, als gänzlich immateriell erscheint.