COLORSCAPE II – Sabine Elsa Müller
Die Parallelen zwischen den acht künstlerischen Positionen sind offensichtlich: Im Zentrum steht die Leidenschaft für die Farbe als Anlass, Thema und Mittel der Bildfindung. Die Farbe bestimmt das Bildgeschehen. Das heißt, es handelt sich in keinem Fall um ein bloßes Ausmalen einer Fläche mit dieser oder jener Farbe, sondern es geht um eine Handlung, genauer gesagt, einen Prozess, der sich räumlich und zeitlich auf dem Bildgeviert vollzieht, und der bei der Betrachtung nachvollzogen werden kann. Was wir sehen, ist ein Geschehen, von dem diese Malerei zeugt. Die Bildfläche ist ein Austragungsort aufeinander bezogener Aktionen, in deren Wechsel von opaker wie transparenter, lasierender wie verdichteter, in jedem Fall vielfältig nuancierter Farbmaterie sich das malende Individuum in seiner Subjektivität wiederfindet, in maximaler Unterscheidung zu einer konzeptbasierten Herangehensweise.
Der Titel Colorscape ist durchaus programmatisch zu verstehen. Obwohl nirgendwo illusionistisch gemalte Landschaften zu sehen sind, öffnen sich in den Bildformaten weite und tiefe Räume, in denen das Auge wie in einer Landschaft spazieren gehen kann. Hier könnte der Vergleich mit inneren Landschaften oder Seelenlandschaften weiterhelfen. Ist es doch der Versuch, innere Prozesse, Gefühle, Stimmungen, also subjektive Empfindungen in ihrer ganzen Differenziertheit über die Farbe auszudrücken, der die acht Künstlerinnen und Künstler vereint. Die Konzentration auf die Farbe, nichts als die Farbe mit ihrer Fähigkeit zur feinsten Modulation erfordert höchste Aufmerksamkeit. Die Bilder fordern die Wahrnehmung heraus. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger, als genau betrachtet zu werden. Zu betrachten ohne zu bewerten ist aber eine der größten Herausforderungen an den menschlichen Geist. Uns wird zugemutet, ohne eine Interpretation auskommen zu müssen im Sinne einer Antwort auf die Frage: Was bedeutet das? Was soll das darstellen? Die Farbe stellt nichts dar außer sich selbst. Sie transportiert nicht etwas anderes, ein Gesicht, einen Gegenstand, sondern bleibt bei sich. Wir sehen ein Farbgeschehen und beginnen, uns selbst beim Sehen zu beobachten. Wir erfahren im Wesentlichen etwas über uns selbst.
Es handelt sich also um höchst subjektive Malerei. Dennoch ist sie nicht gleichzusetzen mit gestischer Expression. Der gestische Farbauftrag, der die Pinselbewegung und damit die Bewegung der Hand vermittelt, spielt zwar bei vielen Arbeiten hier eine wichtige Rolle. Aber ebenso oft findet sich ein sehr gleichmäßiger Farbauftrag bis hin zu einer völlig glatten Oberfläche, die keinerlei Pinselspuren mehr erkennen lässt. Hier kommt das Licht als kongenialer Mitspieler ins Spiel. Farbe ist Licht, und wenn transparente Farblasuren übereinandergelegt werden, können wie gläsern wirkende Oberflächen entstehen, die das einfallende Licht optimal reflektieren. Die Materialität der Farbe wird zurückgenommen. Sie löst sich auf zugunsten eines immateriellen Glühens und Scheinens. Farbe wird als Licht empfunden und die Farberfahrung wird zu einer hochemotionalen Erfahrung von räumlicher Durchdringung und Berührung. Der Farbraum wird zu einem pulsierenden Lichtraum, der die Grenze zum realen Raum, also dem Ausstellungs- oder Galerieraum, in dem die Betrachtenden dem Bild gegenübertreten, überschreitet. Dies kann sich als transzendentes, also grenzüberschreitendes Erleben auswirken.
In jedem dieser Fälle – sowohl bei der gestisch aufgetragenen Farbmaterie, als auch bei einem fast immateriell wirkenden Farbauftrag – erscheint die Bildfläche bewegt. Bewegung und die daraus resultierende Erregung ist ein wesentlicher Eindruck der Bildbetrachtung bei allen hier versammelten Arbeiten. In der Malerei von Michael Toenges teilt sich diese Bewegung am unmittelbarsten und direktesten mit als kontrollierte Spontaneität des gestischen Ausdrucks. Malen ist hier Körperarbeit. Die einzelnen Farbzugaben sind deutlich als solche erkennbar, können aber im Prozess der Bildwerdung unter den immer neu hinzugefügten oberen Schichten teilweise wieder verschwinden. Neues Farbmaterial wird mit dem bereits vorhandenen Farbmaterial durch das gestische In-Beziehung-Setzen verbunden, bis sich ein spannungsgeladener Bildzusammenhalt entwickelt. Je nach vorherrschender Farbigkeit sind landschaftliche Assoziationen hier tatsächlich naheliegend, zumal das zerklüftete Relief der Oberflächen diesen Eindruck verstärkt. So kann eine vorwiegend in Braun oder Grau gehaltene Farbgebung an Gesteins- und Felsformationen erinnern. Leuchtende Farben aus einem großen Farbspektrum lassen wiederum an einen üppigen Garten denken. Michael Toenges´ materialschwere Farberuptionen haben etwas Naturhaftes: Vor allem wenn die Farbe die Begrenzung des Bildträgers überwuchert, scheint sich die Malerei selbst in ein Stück Natur zu verwandeln.
Für Peter Tollens spielen Natur und Landschaft insofern eine große Rolle, als die darin gemachten Erfahrungen des passionierten Spaziergängers und Wanderers stets in seine Malerei einfließen. Die Bildeindrücke von außen werden transformiert in einen Farbeindruck, der all diese Erfahrungen, Stimmungen, Erregungen in sich aufnimmt. Tollens´ Gestik ist knapp, aber gezielt. Er trägt die Farbe in gleichmäßigen Setzungen auf, die ein zusammenhängendes Gewebe bilden. Vergleichbar mit der Maltechnik von Paul Cézanne verdichten sich unzählige kleine Farbfelder zu einer vibrierenden Oberfläche. Wir werden mit einem Malereikörper konfrontiert, in dem sich Körperliches mit Seelischem und Geistigem verbindet, wie es nun mal auch beim Wandern in der Landschaft der Fall ist. Die Farbhaut scheint gewaltige Energien in sich einzuschließen. Gelegentlich öffnet sie sich an ihren Rändern und gibt ihre Verletzlichkeit preis. Dann löst sich die kompakte Geschlossenheit der Bildtafel und ein fließender Austausch mit dem Raum und dem Gegenüber setzt ein.
Mit KP Kremer kommt ein Farbmaler ins Spiel, der mit feinsten Nuancen arbeitet. Das macht schon die Bildauswahl für diese Ausstellung unmissverständlich deutlich. Zwei farblich sehr ähnliche Arbeiten fordern die Betrachtung regelrecht heraus. Der Farbauftrag ist homogen und gleichmäßig, nichts soll vom Farbeindruck selbst ablenken. Bei der Wahrnehmung des spezifischen Farbtons spielt das Bildformat eine wichtige Rolle. Wenn KP Kremer ein quadratisches Format wählt, stellt er es auf die Spitze, um die sehr geschlossene Wirkung des Quadrats aufzubrechen, so dass die Malerei dynamisch in den Raum strahlt. Farbe und ihre konkrete Ausdehnung auf dem Träger – das sind die gegebenen Faktoren, die zu jeweils grundsätzlich anderen Ergebnissen führen. Die Farbhaut verdankt sich einem ganzflächigen Aufbau aus vielen dünnen Schichten, wobei die Farbe aus einer unteren Schicht gelegentlich auch durch ausgesparte „Löcher“ bis an die Oberfläche durchdringen und diese aktivieren kann. Bei den von ihm so genannten „Grauen Bildern“, die seit etwa einem Jahr entstehen, beginnt er meist mit einem Gelb, auf das weitere Gelb- und Blautöne folgen, so dass ein grün-grauer Farbklang entsteht. In akribischen Bildprotokollen wird die Abfolge der einzelnen Farbschichten festgehalten. Gegen deren faktische Realität offenbaren die durch das Licht und die Gestimmtheit des Betrachtenden stetig wechselnden Bildeindrücke eine eigene, sinnlich verankerte Wahrheit.
Wir kommen mit Ulrich Wellmann zu einem Maler, dessen Position von noch größerer Leichtigkeit und einer verblüffenden Offenheit geprägt ist. Das Bildgeviert ist selten ganzflächig mit Farbe bedeckt, so dass das Weiß des Bildträgers in der Gesamterscheinung lebhaft mitwirkt. Der Farbauftrag ist bewegt. Der Pinsel als Verlängerung der Hand führt die Farbe und damit das Auge in lockeren Kringeln und Schlaufen über die Fläche. Die lineare Farbverteilung zeichnet nicht nur die räumliche Bewegung, sondern auch eine Abfolge in der Zeit nach, zumal die Pinselspur einen deutlichen Verlauf von Farbsättigung zur Farbentleerung erkennen lässt, der nach Aufnahme neuer Farbe mit dem Pinsel immer wieder von Neuem einsetzt. Diese bewusste Farbführung über die Fläche vermittelt Malerei als Ausdrucksverhalten aus dem unmittelbaren Erleben des malenden Subjekts heraus. In diesen malerischen Grund ordnen sich Linien oder Linienbündel als eine zweite Ebene ein, wie eine Art Trigger zur Aktivierung des Bildraums. Häufig entwickelt sich daraus eine eigenständige Figur. In den letzten Jahren hat sich hier eine Form durchgesetzt, die Wellmann als Lachform bezeichnet. Damit kommt in die Farbmalerei ein erzählerisches Moment, das von einer für den Menschen existentiell wichtigen Ausdrucksform handelt.
Die Figur-Grund-Beziehung spielt auch bei der französischen Malerin Claire Colin-Collin häufig eine bildkonstituierende Rolle. Inmitten ihrer wolkig-diffusen Farbräume, die keinerlei handschriftlichen Duktus zeigen und wie lichthafte Erscheinungen wirken, tauchen einzelne Linien oder Gegenstände auf. Eine einzige, eher langsam und sehr bewusst geführte Linie kann in diesen Kosmos eingebettet sein wie eine verblassende Erinnerung oder auch wie ein Fanal daraus hervorbrechen. In dieser flüchtigen, aber höchst subjektiven Spur steckt eine geballte Emotionalität. Das Subjektive und Körperliche ist in den fluiden Farbwolken einerseits abwesend, steigt aber als deren Abdruck in einer komprimierten Form aus tieferen Schichten an die Oberfläche empor. Das isolierte Zeichen entfaltet in seiner Ambivalenz zwischen Erscheinen und Verschwinden gerade im Kontrast zur indifferenten Umgebung eine spannungsgeladene Wirkmacht.
Bei der in der Schweiz lebenden Künstlerin Maria Magdalena Z’Graggen wird die Bildentstehung zur Performance. Der Ort dieser Performance ist die Holztafel, die zunächst einer sorgfältigen Vorbereitung bedarf. Sie wird mit feingeschliffenem Gesso grundiert, so dass die Farbe eine glatte Unterlage erhält. Viel Aufmerksamkeit wendet Z´Graggen ebenso an die Auswahl besonderer Farbpigmente sowie die Beschaffenheit der Farbkonsistenz, indem sie das Farbmaterial selbst anmischt. Auf der monochromen, noch nassen ersten Malschicht erfolgt in einem einzigen Durchgang die Einarbeitung pastoser Ölfarbe mit dem Spachtel. So schreiben sich die Spuren ihrer Bewegungen in vertikalen Streifen, in zentrifugalen Kreisen, Zirkeln oder Ovalen auf den Bildträger ein. Es ist ein performativer, hochkonzentrierter Mal-Akt, der sich im Ergebnis nachvollziehen lässt. Der Blick gleitet an den Linien zwischen Form und Grund entlang, die sich hart voneinander abgrenzen und ein bewegtes Relief von hoher Plastizität bilden. Spontaneität und Zufall spielen eine große Rolle, da die Reaktion von Pigment und Bindemittel nicht vorhersehbar und nicht korrigierbar ist. Die Kontraste und Rhythmen, der Gegensatz von Verschmelzung und Abstoßung transportieren eine Aussage über die Lebendigkeit und Wandlungsfähigkeit natürlicher Prozesse.
Farbe als lichthafte Erscheinung und Farbe als materielle Realität, das sind die beiden gegensätzlichen Pole, die Raymund Kaiser regelrecht gegeneinander ausspielt. Die im englischen Sprachgebrauch in Color und Painting differenzierten Erscheinungsformen der Farbe geraten auf ein und derselben Bildtafel in eine kaum überbrückbare Spannung. Über die makellos glatte, aus vielen transparenten Lackschichten aufgebaute Farbhaut wuchert eine zweite Farbebene im selben Farbton, aber in einer anderen Materialität. Diese zweite Ebene gibt dem Blick einen Widerstand, hier kann er sich in die Nuancen der Farbwerte und die Strukturen der Farbmaterie vertiefen, während sich die glatte und spiegelnde Lackschicht dem Blick verschließt. Gerade an den Grenzen zwischen den beiden Realitäten der Farbe wird dieser Konflikt besonders deutlich, wenn die Bildinformation plötzlich abbricht und der Blick ins Bodenlose stürzt. Diesem schockartigen Perspektivwechsel setzt Raymund Kaiser in den neuesten Bildtafeln eine innerbildliche Bewegung entgegen durch malerische Farbdurchmischungen. Damit wird der Kontrast zwischen den „Farbwelten“ abgemildert; sie treten in einen einander zugewandten Dialog. Die innerbildliche Bewegung löst die Farbe aus ihrer Starre und verschafft ihr eine barocke Leichtigkeit.
Schließlich kommen wir mit Andreas Keil zu einem Künstler, der bei jedem einzelnen Bildwerk wieder neu entscheidet, in welcher Form – pastos oder transparent, monochrom oder vielfarbig – die Farbe zum Einsatz kommt. Die Basis dieser Entscheidung liefert der Bildträger, der einen ungewöhnlich hohen Grad an Individualität und Eigenpräsenz mit sich bringt. Andreas Keil bevorzugt Bildträger, die bereits in einem anderen Kontext Verwendung fanden. Gerade bei den wie Strandgut angespülten, unregelmäßig geformten Fundstücken ist eine sorgfältige Präparierung für den Farbauftrag durch Schleifen und Grundieren wichtig. Durch diese Art der aufmerksamen Zuwendung und Be-Handlung eignet sich der Maler den betreffenden Gegenstand an und verschafft sich einen Impuls für einen ersten Farbauftrag. Dieser kann so unterschiedlich ausfallen wie die Bildträger selbst. Malerei ist hier ein komprimiertes Konzentrat, in dem sich die Welthaltigkeit des Bildträgers mit der Subjektivität des Malers verbindet. Auch diese Farbstücke sind Bild und Objekt zugleich und wirken wie Zeitkapseln, in denen die vor-malerische Existenz des Bildträgers mitschwingt.
Wie alle anderen Positionen dieser Ausstellung reiben sich die verschiedenen Ebenen räumlicher und zeitlicher Erfahrung in einer Weise aneinander, um – wie Ulrich Wellmann sich einmal in einem Gespräch ausdrückte – „dem komplizierten Verhältnis des Menschen zu seiner Welt Entsprechendes zur Seite zu stellen“. Sabine Elsa Müller